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Die sardische Transformation: Das vergessene Paradies

Die Entfremdung des Menschen von seiner eigenen Natur und ein möglicher Weg zurück 

Vor nun über 40 Jahren landete ich das erste Mal auf Sardinien.  

Die Landepiste war eine Staubpiste, das Terminal winzig klein. Direktflüge waren genauso Mangelware wie Düsenantriebe. Das Gepäck kam entweder überhaupt nicht oder verspätet an. Die Straßen waren nur innerhalb der Hauptstadt geteert. Außerhalb fuhren Ochsen- und Eselkarren – durchsetzt von einigen 70er Jahre Autos – auf Schotterpisten. Oft galt es längere Pausen einzulegen, wenn mal wieder eine der zahlreichen Schafsherden die Straße passierte. Man benötigte für eine Strecke, die man heute in 45 Minuten mit dem Auto zurücklegt, über 3 Stunden Fahrzeit.  

Die Bevölkerung lebte vornehmlich von der Tierhaltung und der Landwirtschaft, 

insbesondere Schafe waren wesentlich verbreiteter als Menschen. Die Schafhirten führten ein Nomadenleben, verbrachten Ihre Abende in weiträumig entfernten „Pinettas“, gebaut aus Stein und Wacholderbeerholz, aßen zum Abendbrot Pecorino und Pane Carasau. Was man heute als Achtsamkeit und „Im Moment sein“ in einer immer größer werdenden Selbsthilfe-Industrie des vermeintlich Spirituellen für teures Geld zu verkaufen versucht, leuchtete in seiner pursten Essenz aus den tiefschwarzen, glitzernden Augen dieser Schäfer, in denen man sich sprichwörtlich spiegeln konnte. In Ihnen verlor sich die Zeit.  

Die Wälder und Strände Sardiniens hatten mystischen Charakter. 

Wenn man über den unberührten Strand ging, erzeugten die Füße ein leises Pfeifen, so fein und jungfräulich war er. Als würde jemand ganz leise aus dem Diesseits rufen, so dass man sich erschrocken umdreht und feststellt, dass da niemand ist. In der unendlichen Stille der sardischen Landschaft und seiner Wälder hörte man Geister flüstern, Schatten und Gestalten wandeln und bekam einen Einblick in diese immense Tiefe der eigenen menschlichen Existenz. Es ist diese zarte und leise Grenzenlosigkeit, die Segen und Fluch zugleich sein kann und nach der sich der Mensch in seinem immanenten Expansionsdrang und seinem Wunsch nach Aufhebung seiner Grenzen immerzu sehnt. Nichts aber fürchtet er mehr als sich in eben dieser Grenzenlosigkeit zu verlieren.  

Auf hartem Granit gebaut, 

repräsentiert für mich Sardinien, diese über 500 Millionen Jahre alte Insel mit Ihrer über 150.000 Jahre alten Menschheitsgeschichte diese magische Mystik, an die es sich heute mehr denn je zurückzuerinnern gilt. Denn in ihr verbirgt sich der Kern menschlicher Existenz, den es wieder zu entdecken gilt, soll es gelingen, die Entwicklung der Menschheit in eine Richtung umzulenken, die nicht selbstzerstörerisch, sondern selbsterhaltend ist. 

Obgleich diese Insel damals im Vergleich zum restlichen Europa in Ihrer Entwicklung Jahrzehnte zurücklag, 

machte auch hier der Fortschritt keinen Halt. 

Die Küsten wurden vollgebaut. Wo vorher ein einzelnes Haus an einem 16 Kilometer Sandstrand stand, entstanden schon bald zehntausende Häuser. Feuchtgebiete mit Fröschen wurden trockengelegt, Dünen zogen sich zurück, die Struktur des Sandaufbaus änderte sich. Kein Pfeifen war mehr wahrnehmbar. Selbst kleine Staubstraßen wichen Teerstraßen. Der Verkehr nahm zu, autobahnähnliche Straßen auf Stelzen wurden neu errichtet. Es schien, als ob sich die Feen der Wälder ins Innerste der Insel zurückzogen. Wieder kamen die Eroberer der Insel, wie so oft in der Geschichte Sardiniens, vom Meer. Diesmal in Form sonnenhungriger Touristen, die die Insel aufgrund der einmaligen Strände bald die Karibik Europas nannten. Wenn sie nur wüssten wie es einmal war. Wer gibt schon das Paradies für die Karibik auf? Sardinien, und das ist das Absurde, gilt auch heute noch als eine der unberührtesten Inseln des Mittelmeers und Europas. Es dient hier dennoch als Beispiel für einen Prozess, den die Menschheit in den letzten 40 Jahren in Windeseile vorangetrieben hat: 

Die Entfremdung von sich selbst. 

Den Begriff der Entfremdung, sowohl gesellschaftlich als auch individualpsychologisch interpretiert, findet man schon bei Aristoteles. Erich Fromm stellt ihn 1955 in seinem Buch „Wege aus einer kranken Gesellschaft“, in den Kontext der modernen Gesellschaft. Ursprünglich bezog er sich zentral auf die Industrialisierung und Ihre Folgeerscheinungen. Die industriellen Arbeitsbedingungen führten zu einer beispiellosen Entfremdung, die sich später in der Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft nur beschleunigte und dort Ausweitung auf die gesamte menschliche Existenz, also auch auf seine Freizeit, fand. Aus Reisen wurde Urlaub und Urlaub diente zur Kompensation eines stark entfremdeten Alltagslebens – egal, ob all-inclusive oder Backpacker-Reise. 

Das Kompensationsmuster in der Gesellschaft ging Hand in Hand mit einem gesteigertem Konsummuster. 

Alles, was man brauchte, verleibte man sich ein. Wachstum erschien grenzenlos, obwohl man nicht erst heute über die Begrenztheit der weltlichen Ressourcen Bescheid wissen müsste. Paradigmen wie „Mehr ist besser“, „unbeschränktes Wachstum (Verneinung des Todes)“ und „die „Ich“ Fokussierung des Homo Oeconomicus Prinzips wurden gemeinhin als implizite Wahrheiten postuliert und auf die Gestaltung aller gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen, ja sogar wissenschaftlicher Systeme angewandt. Ein fast vollständig von der Realwirtschaft abgekoppeltes Finanzsystem tat sein Übriges.

Angesichts der immensen Herausforderungen vor der sich die Menschheit befindet,

erscheint es heute geradezu lächerlich auf die Veränderung des Geräuschs des Sandes, auf das Verschwinden des mystischen Waldes oder die wahrgenommenen Veränderungen der Wasseroberflächenstruktur zu verweisen. Heute sind die handfesten Probleme im Umwelt-, im Gesundheits-, im Wirtschafts- und politischen Bereich derart zahlreich, dass man sich schwer tut eine Liste anzufertigen, die ein Ende nimmt: Umweltkatastrophen, verseuchte Lebensgrundlagen, Plastikmüll in den Weltmeeren, Radioaktivität, Mobilfunkstrahlenbelastung, Dürre und Wasserarmut, Krieg, Flüchtlinge, Kapitalkonzentration, Globalisierung, Digitalisierung, künstliche Intelligenz,  Überbevölkerung,  Ressourcenknappheit, eine enorme Zunahme der Zivilisationskrankheiten und psychischer Erkrankungen, Zerfall sozialer (familiärer) Strukturen, Soziale Medien, etc. Die Liste ließe sich fast endlos fortsetzen. 

Man kann auf diese globalen Herausforderungen aus verschiedensten Perspektiven schauen: 

Aus der Perspektive der Biologie, der Psychologie, Philosophie, Physik, Sozialwissenschaften, Anthropologie, etc. Gerade die westliche Welt liebt die verstandesorientierte, vermeintlich objektive Analyse mittels der Wissenschaft, um lebensweltliche Herausforderungen anzugehen. Als das Höchste gilt der zur Unterscheidung fähige Verstand und seine Fähigkeiten. Es wird lieber zerlegt als integriert, objektiviert statt Subjektivität als geltendes Prinzip gewähren zu lassen. Zu welchen Konsequenzen dies führen kann, sieht man an vielen politischen Lösungsversuchen. Es wirkt oft als ob man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. 

Wir sind heute technisch und wissenschaftlich so weit entwickelt wie noch nie. 

Aber auf welchem Fundament steht dieses so in die Höhe geschossene Hochhaus? Hat sich der Verstand nicht längst schon verselbstständigt? Sehen wir das nicht in der Zunahme der psychischen Erkrankungen durch einen digitalisierten Lebensstil? Brauchen wir wirklich erst die künstliche Intelligenz eines Roboters, der uns ins Gesicht sagt, dass wir auf dieser Welt nicht mehr gebraucht werden? Mit den eigenen Waffen geschlagen? Die Menschheit scheint an dem Höhepunkt Ihrer technischen und wissenschaftlichen Entwicklung zu stehen und trotzdem gab es nie in der Geschichte der Menschheit eine stärkere innere Orientierungslosigkeit und Unsicherheit wie heute. Durchmischt mit dem Gefahrenpotential, dass jeder Einzelne per Knopfdruck potenziell die Macht hat, die Welt empfindlich zu (zer-) stören. 

Schauen wir uns also die genannten Herausforderungen aus einer existenziellen und subjektivistischen Perspektive an. 

Wo sind also die Menschen in Macht- und Führungspositionen die Selbstverantwortung nicht im Besten Fall als moralisches Postulat gelernt, sondern erlebt haben? Und zwar aus einer existentiellen Selbsterfahrung heraus, die nur dem Leben selbst und keiner noch so hochgezüchteten Wissenschaft entspringt: weder den Wirtschaftswissenschaften noch einer sozialwissenschaftlichen Führungslehre, der Psychologie oder der (Quanten-)Physik. Wo sind also diese Menschen, die auf das „Selbst“ in sich „Selbst“ antworten können, weil sie sich dem kleinen und großen Tod gestellt haben, um sich dem Leben zu öffnen. Der kleine Tod als die tausend Tode, die jeder von uns stirbt, wenn er Elemente seiner Persönlichkeit aufgeben muss: sein Haus, sein Auto, sein Boot, seine Ehe, sein Geld. Der große Tod als die vollständige Auflösung der Ich-Identität, der sich durchaus wie ein realer Tod anfühlen kann. Wo sind also diese Menschen, die dieses „Selbst“ noch riechen, schmecken, fühlen, sehen und hören können. Die Ihre fünf Sinne genau deswegen durch eine bewusste Ernährung, durch Körper-, Atem-, Konzentrations- und Meditationsübungen offen, klar und reinhalten wollen, weil sie den Kontakt zu diesem „Selbst“ haben. Nicht also, um als der nächste Yoga- und Meditationsguru in die Geschichte einzugehen, um also eine Ich-Aufwertung zu erfahren, sondern weil sie die Grenzenlosigkeit und Unendlichkeit in sich selbst entdeckt haben, die sie mit allem verbindet und der sie sich nicht durch die Betäubung Ihrer Sinne verschließen wollen.  

Die Schlüssel- und Führungspositionen unserer Gesellschaft sind unbeschreiblich mächtig geworden 

und doch hat man den Eindruck, dass gerade eben diese krank- und krampfhaft an Ihrer Ich-Identität festhalten und dadurch weder Hoheit über Ihren Geist noch über Ihre Emotionen oder Ihren Körper gewonnen haben. Bekannterweise ist der Anteil psychischer Erkrankungen gerade in Führungs- und Machtpositionen besonders ausgeprägt – oft werden Ihnen narzisstische Persönlichkeitsstrukturen nachgesagt.     

Ein Manager ist heute meistens eher ein Verwalter als eine Führungspersönlichkeit. 

Bei der Entfremdung des Menschen von sich selbst, geht es aber nicht mehr um „Change“, um Wandel oder um Management, geschweige denn um „Change-Management“. Wie absurd, den konstanten Wandel des Lebens, managen zu wollen! Physikalisch gesprochen: auf Teilchenebene ggfs. noch möglich, auf Feldebene schlicht undenkbar. Ein solcher Ansatz ist deswegen so irreführend, weil er die existenzielle – nennen wir sie – „Einheitserfahrung“ implizit verneint, indem suggeriert wird, dass man das Leben steuern könnte. Aber eben diese existenzielle Erfahrung ist so zwingend notwendig, um wirkliche Transformation stattfinden lassen zu können. 

Ein System versucht sich immanent ständig zu reproduzieren. 

Verändert man eine Systemkomponente, stabilisiert es sich nach Anpassung wieder. Die Form hat sich verändert, das System bleibt bestehen. Bei einer Transformation geht es hingegen um ein transzendieren des Systems, mit der zwingenden Notwendigkeit der Etablierung eines Bezugspunkts außerhalb des Systems. In der Persönlichkeit eines Managertypen fehlt dieser existentielle Bezugspunkt außerhalb seines eigenen Persönlichkeitssystems in der Regel. Ihm gelingt es daher nicht ein System auf eine lebensadäquatere, neue Ebene heben bzw. transformieren zu können. 

Wir brauchen wieder Menschen, die sich einer subjektivistischen Wissenschaft verschrieben haben 

und grundexistenzielle Erfahrungen gemacht haben, bevor sie Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen. In ursprünglichen Stammesgesellschaften gehörte es zum überlebensnotwendigen Ritual, die Stammesmitglieder im Rahmen Ihres jugendlichen Reifungsprozesses in die Einsamkeit der Natur zu schicken, um diesen Bezugspunkt als existentielle Einheitserfahrung außerhalb Ihres Gesellschafts- und Stammessystems etablieren zu können. Sie verbrachten oft Tage und Wochen ohne Essen in Isolation in der Wildnis. Im Rahmen dieses Prozesses ging es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod, sowohl für den heranreifenden Jüngling als auch für den Stamm, dessen Fortbestand es zu sichern galt. Die moderne Gesellschaft jedoch meint das Leben „managen“ zu können und reproduziert sich dabei in ihrer Pathogenese ständig selbst. 

Wir brauchen Menschen in Führungspositionen, die sich dem Leben, genauso wie dem Tod stellen können, 

die wirkliche Führung übernehmen können, weil sie ihre eigenen Interessen transzendiert haben und Ihr Leben in den Dienst des Überlebens der Menschheit bzw. der Gemeinschaft stellen können. Menschen, die eine Einheitserfahrung gemacht haben und über Ihr Potential Bescheid wissen, die daher kreative Wege einschlagen können, um Systeme zu transformieren, damit eben diese Systeme wieder dem Leben dienen und nicht der Macht bzw. Angst. 

Was hat das nun alles mit Sardinien und dem vergessenen Paradies zu tun? 

Jeder einzelne von uns ist eine Führungsperson. Wir führen uns zumindest selbst und je mehr uns das gelingt, umso mehr sind wir dazu geeignet andere Menschen, eine Organisation oder eine Gruppe von Menschen, zu führen. Vor einigen Jahren arbeitete ich selbst noch in einer Unternehmensberatung, die vornehmlich große Konzerne beriet. Ich war tagtäglich mit Menschen und Führungskräften konfrontiert, die sich an Ihren Rollen und Masken, die sie trugen, festbissen. Das prädominante Leitmotiv Ihrer Handlungen waren ökonomische Prinzipien, hinter denen sie sich versteckten und die zwar eine Realität waren, aber die keiner tieferliegenden Wahrheit noch dem Leben als Ganzes dienten.

Ich erinnerte mich zurück an meine Kindheit auf Sardinien, 

an meine tiefen mystischen Erfahrungen an diesem damals für mich noch jungfräulichen und unverdorbenen Ort. Ich wunderte mich gleichermaßen über mich selbst und meine Mittätigkeit in diesen oft betäubten Organisationen. Ich fand Parallelen zwischen meiner Entwicklung, diesen Firmen, der Entwicklung Sardiniens und der Gesellschaft als Ganzem: Die Entfremdung des Menschen von sich selbst. Zu dieser Zeit sehnte ich mich nach einem Ort, wo ich einfach nur Sein durfte. Wo es keine Religion, kein Glauben, keine Gurus und schon recht keine Unternehmensberater gab. Wo niemand anderen Menschen, oft unbewusst, seine eigenen, antrainierten Glaubenssätze auferlegen will. Ich wollte einfach nur da sein, wahrnehmen und spüren dürfen. Ich wollte keine Medien, kein Selbsthilfeseminar, kein Kampfsport oder irgendwelche möglicherweise manipulativen Mentaltechniken kennenlernen, ich wollte lediglich die Freiheit haben meine Antennen aufzustellen und auf Empfang zu gehen, wieder meinen ureigenen Draht zu dem zu entwickeln, was Millionen Namen hat.  

Damals entstand die Idee einen Ort zu erschaffen, wo dies möglich ist. Und zwar auf Sardinien. 

Die Vermittlung zwischen dem Menschen und (seiner) Natur sollte hier im Vordergrund stehen und zwar auf eine Art, dass diese Reise ganz nebenbei, ohne großes Aufsehen und schon Recht ohne Lehrer, Trainer oder Guru vollzogen werden konnte. Es musste doch einen Weg zurückgeben! Ohne einer Glaubensrichtung angehören zu wollen, ging es mir um die sensible Erschaffung eines Ortes, der demjenigen dient, der den Mut aufbringt, sich vom Senden ins Empfangen fallen zu lassen, der sich traut den leisen Tönen der Natur zu lauschen, um eine existentielle, eigene Erfahrung zu machen, die nur er selbst macht und die genauso leise, mystisch und verborgen ist wie das Geheimnis, das es zu entdecken gilt und ihn ganz nebenbei auch noch unabhängiger von einer Gesellschaft machen, die scheinbar kollektiv ins Verderben rennt. 

Dieser Ort sollte auf Basis dauerhaft funktionierender, nachhaltiger und naturnaher Kreisläufe geschaffen werden. 

Hierzu bedienten wir uns den zwölf Prinzipien der Permakultur von David Holmgreen. Diese sind: 

  1. Beobachte und interagiere 
  2. Sammle und speichere Energie
  3. Erwirtschafte einen Ertrag
  4. Wende Selbstregulierung an und lerne aus dem Feedback 
  5. Nutze erneuerbare Ressourcen und Leistungen
  6. Produziere keinen Abfall
  7. Gestalte zuerst Muster und dann Details 
  8. Integrieren statt Ausgrenzen
  9. Nutze kleine und langsame Lösungen
  10. Nutze und schätze die Vielfalt
  11. Nutze Randzonen und schätze das Marginale
  12. Nutze und reagiere kreativ auf Veränderungen 

Die Anwendung dieser Prinzipien auf einen spezifischen Ort im lebendigen Kontext stellt die eigentliche Herausforderung dar. 

Durch die langfristige Beobachtung der Natur dieses 25 ha großen Hügels, der geschichtsträchtig zwischen einem historischen Friedhof und einem alten Gefängnislager aus der Mussolini Zeit in Castiadas – ca. 1 Stunde von Cagliari in Richtung Ostküste Sardiniens-, gelegen ist, versuchen wir Lösungen zu schaffen, die mit dem Leben in bestmöglicher Harmonie sind. Auf diesem Grundstück direkt am Fuße des Nationalparks der „Sette Fratelli“ befanden sich traditionell hunderte Olivenbäume. Wir erschufen daraus einen „Food Forest“ mit zusätzlichen, alten Frucht- und Obstsorten, fanden Kräuter zur natürlichen Schädlingsbekämpfung, baggerten kilometerweise Gräben auf einer Höhenlinie, um das Regenwasser auf dem Grundstück zu halten und vor der drohenden Verwüstung zu bewahren, bauten Terrasierungen aus Stein, brachten Solarstrom aufs Gelände, um Wasser zu pumpen, bauten Mikrozonen mit organischem Material und Würmern, um fortlaufend Komposterde zu haben. Wir wählten Lehm als Baumaterial der Gebäude mit der Zielsetzung weder Baumaterialien noch menschliche Arbeitskraft zu verwenden, die sich mehr als 20 km von der Baustelle entfernt befinden. Jeder dieser Tätigkeiten, musste vor Ort, spezifisch für diesen Kontext neu erlernt werden. Die Natur ist nirgends gleich. Bei dem Anwesen handelt es sich zwar um ein 

naturnahes, aber durch Menschenhand geformtes System und keine Wildnis. 

Die Logik, nach der dieser Ort aber errichtet ist, lässt den Menschen seine Umwelt nicht konsumieren, sondern mit Ihr in einen produktiven, sehr respektvollen, dankbaren und kreativen Austausch gehen. Diese Art Interaktion und Beziehung des Menschen mit seiner natürlichen Umwelt führt zu Verhaltensveränderungen des besiedelnden Menschen, was die Basis für das existenzielle Erleben einer Dimension der menschlichen Existenz ist, die nicht durch den Verstand zugänglich ist. 

Dieses fühlende Wahrnehmen,

kann im Alltag der modernen Gesellschaft, wo das Nervensystem unter Dauerbeschuss ist, nur schwer zu Tage treten. Durch die ständige Aktivierung des Sympathikus, verkümmert die Reagibilität des Parasympathikus. Subjektiv bedarf es der selbst wahrgenommen Harmonie mit seiner Umwelt, um sich durch sich selbst hindurch als nicht mehr als von sich selbst getrennt wahrzunehmen. 

Seit einigen Jahren arbeite nun ich an der Entstehung dieses Ortes, 

in einem sich ständig neu formenden, offenen Prozess. Ist man normalerweise gewohnt ein klares, einmaliges Bild bei der Projektierung solcher Projekte zu haben und ergebnisorientiert umzusetzen, sind die vielen Schleifen, die man im Rahmen einer prozessorientierten Arbeitsweise dreht, an dieser Stelle sogar gewünscht. Man kann es mit der Projektmethodik in der IT vergleichen: Wasserfallmodell versus agile Entwicklung. Diese prozessorientierte, agile Vorgehensweise ist zwar für einen Architekten und alle beteiligten Personen wegen häufigeren Neuplanungen sehr anstrengend und auch größtenteils inkompatibel mit bestehenden bürokratischen Rahmenbedingungen, stellt aber sicher, am Ende nichts erschaffen zu haben, was am Bedarf vorbei geht. 

Wir sind weder Aussteiger noch Hippies noch Ökofreaks. 

Wir sind eine Gruppe von Menschen, die dieses Projekt vor Ort vorantreibt, die sich alle länger kennen, vor Ort leben und ähnliche Grundanliegen und Werte im Leben haben. Gemeinsam ist Allen, dass Sie in Ihrem Leben nicht nur einen Beruf gelernt haben, sondern Mehrere, dass sie mehr Generalisten als Spezialisten sind und Spaß an der Abwechslung haben. Die Finanzierung dieses Projektes erfolgt bisher ausschließlich durch mich. Es ist geplant das Projekt ggfls. in eine Stiftung überzuführen. Wer Interesse hat sich durch Kapital einzubringen, schreibt mir bitte eine E-Mail. Dachte ich am Anfang, dass dieses Projekt einen Finanzierungsbedarf einiger Millionen Euro hat, war eines meiner Erkenntnisse der prozessorientierten Arbeitsweise, dass der Finanzierungsbedarf deutlich geringer ist und dass im Gegenteil zu viel Kapital gerade in solchen Projekten kontraproduktiv wirken kann. Insgesamt ist es eh ein kleines, aber sehr sensibles Projekt: Eine Fläche von 25 ha soll am Ende Platz für ca. 40 Personen bieten, um sich in und durch diesen Ort transformieren zu lassen.  

Was ist nun als Nächstes geplant?

Im Jahr 2019 ist bisher angedacht, einen großen Teil der initialen Landschaftsgestaltung abgeschlossen, die Wasser- und Stromversorgung sichergestellt, die ersten beiden Lehmgebäude fertiggestellt und ein kleines veganes Pop-Up Restaurant errichtet zu haben. Im Jahr 2020 folgt dann der Bau eines dritten Lehmgebäudes, sowie im Mai die Eröffnung des Pop-Up Restaurants und des neuen Gemüsegartens für die Öffentlichkeit, sowie die Einweihung des „Aguahara“ Pools als Bio-Schwimmteich, um nur exemplarisch eine der „Besonderheiten“ dieses Ortes zu nennen. Ab diesem Zeitpunkt ist der Ort für Gäste – von Studenten bis Führungskräfte – geöffnet. Volunteers sind schon jetzt willkommen – Anfragen gerne per Email. Zusätzlich werden wir im Laufe des Bauprozesses mind. 4 Workshops anbieten, um Naturbautechniken einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Diese werden frühzeitig publiziert. Dass diese „Besonderheiten“ des Ortes auch erleb- und sichtbar sind, ist meine Aufgabe, denn ich möchte, dass 

die Erfahrung der Selbstverantwortung allen Menschen offen steht. 

Aber Selbstverantwortung durch Selbsterfahrung, kann eben nur existenziell erfolgen. Dieser Prozess kann mitunter Minuten oder Jahre dauern, viele Menschen kommen Ihr ganzes Leben lang nicht dazu. So wie das Pflanzen eines Baumes erst Jahre später Ertrag bringt, so ist auch die Erfahrung der Selbstverantwortung kein Internet-Shopping-Item. Es braucht hierzu Konzentrationsfähigkeit, klare Sinne, ein rezeptives Empfindungsbewusstsein, starken Willen, Mut und eine Hartnäckigkeit dran zu bleiben. Ein Weg, der sich aber in jeder Hinsicht lohnt und aus meiner Perspektive angesichts der anstehenden Herausforderungen unabdingbar ist. Es öffnet wieder die Augen für das Paradies, statt nur die Bäume im Wald zu sehen. Auch wenn es manchmal schwer zu glauben ist: wir haben das Potential nie verloren in die Mystik der sardischen Wälder einzutauchen und das Leuchten der Augen der sardischen Schafhirten in unseren eigenen Augen zu sehen. Ich wünsche uns, dass wir im Innen, wie im Außen, das Paradies nicht nur wiederfinden, sondern das zarte Gleichgewicht einnehmen, um es aufrecht zu erhalten können. Machen Sie mit! 

Zum Schluss möchte ich Sie zu einem kleinen Experiment einladen: 

Was auch immer Sie die letzten Minuten gedacht oder gelesen haben: gehen Sie davon aus, dass dies von Ihren Augen und Ihrem Hirn produziert wurde. Was würden Sie also an dieser Geschichte ändern, wenn Sie in der Lage wären diese Ihre Gedanken, Emotionen, Schlussfolgerungen und Ihren Körper vollständig zu steuern? Werden Sie zum bewussten Autor dieses Textes und Ihres Lebens! 

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